Hafenbad
Wespen in Cola-Dosen · Thorsten Jansohn 1996

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Endlich war es wieder soweit. Meine Dauerkarte, ein kleines Blechschildchen mit eingestanzter Jahreszahl, war für jeden sichtbar an meiner kurzen, an den Enden ausgefransten Jeans befestigt und funkelte in der strahlenden Sonne. Jetzt hatte der Sommer unwiderruflich begonnen; und mit ihm die Zeit im Schwimmbad. Jeden Morgen, gleich nach dem Aufwachen, ging mein erster Blick voll banger Erwartung hinaus aus dem Fenster, und wie groß war die Erleichterung, wenn sich dort ein tiefes, beruhigend stabiles Blau zeigte, das einen Tag voll ungestörten Sonnenscheins verprach.

Der Weg ins Schwimmbad war von Vorfreude erfüllt, die mit jedem Schritt durch die wohlig satte Wärme des Vormittags wuchs. Ich kannte den staubigen Feldweg in und auswendig. Unterwegs sog ich gierig die Sommerluft ein, die nach einem ganzen Heuwagen duftete und lauschte den zirpenden Grillen. Schon kam das kleine, schattige Waldstück, durch das eine steile Abkürzung führte, in Sicht. Je näher man kam, umso deutlicher war Stimmengewirr zu vernehmen. Ausgelassen tobende Kinder, die Schreie der Mädchen, die sich immer mit Händen und Füßen dagegen wehrten, von den Jungs ins Wasser gestoßen zu werden, nur um schnell wieder aus dem Becken zu klettern und die ganze Prozedur erneut über sich ergehen zu lassen. Langsam mischte sich der Geruch des sommerlichen Waldes mit dem von gegrillten Würstchen und Sonnencreme.

Nach der ersten Abkühlung im Wasser hieß es Prellballspielen. Auf glühend heißen Asphaltplätzen verausgabten wir uns bis zur Erschöpfung; immer das Ziel vor Augen, in diesem Sommer das ungeschlagene Team zu werden. Und dann das Anstellen in der langen Schlange am Kiosk, wo es von fettigen Pommes, bunten schaumigen Süßigkeiten bis zu Lakritzstangen und eiskalter Cola praktisch alles zu kaufen gab - vom Geld, das man mit dem Aufsammeln weggeworfener Pfandflaschen verdiente.

Die Tage verliefen immer gleichförmig, ohne daß es jemals langweilig geworden wäre. Kartenspielen, wobei man sich ständig die mayonnaiseverschmierten Hände im Gras abwischen mußte, alle paar Wochen sorgte ein kräftiger Bienenstich für Abwechslung, den man solange im Wasser abkühlte, bis der Schmerz wieder erträglich geworden war. Der Anblick attraktiver Frauen in knappen Bikinis. Braungebrannte Männer, die man heimlich um ihre Muskeln beneidete, vollführten kunstvolle Sprünge ins aufspritzende Schwimmbecken. Es war ein kleines Paradies aus dem man zwar jeden Abend vertrieben wurde, doch zum Glück nie ohne die Sicherheit, am nächsten Tage wiederzukehren. Es sei denn das Wetter meinte es anders...

Doch selbstverständlich konnte der Sommmer nicht ewig dauern. Genausowenig wie die Kindheit. Ein paar Erinnerungen sind geblieben, sonnendurchflutete Gedächtniswinkel, die immer den leisen Wunsch lebendig werden lassen, noch einmal zurückkehren zu dürfen. Einmal noch den unbeschwerten Zauber genießen, der sich im Laufe der Jahren verflüchtigt hat. Einmal noch den Weg ins Schwimmbad gehen. Sich noch einmal in Acht nehmen - vor Wespen in Cola-Dosen.


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Fotos: Johann Rippl
Doch um den Zauber früherer Tage
wieder zum Leben zu erwecken, reicht
es nicht aus, einfach den Ort früherer
Kindheitsträume aufzusuchen.
Das Spiel selbst ist es, in das man erneut
eintauchen müßte.